· 

Japanophil, zum Ersten: Ich & die Otaku-Kultur

Heute mal ein kleiner Einblick in die viel zu ausgedehnte Welt meiner stundenlangen Selbstbetrachtungen. Themenschwerpunkt: Bin ich der typische Otaku? Sofern es einen Solchen überhaupt gibt, versteht sich.

Müde Otakus
Zocken, Glotzen, Pizza essen: Die Welt der Otakus? Wagen wir einen genauen Blick...

Die Frage begann in mir aufzukeimen, nachdem ich vor einigen Monaten mehreren Facebook-Gruppen zum Thema Anime und Manga beigetreten war - teils auch nur kurzzeitig, doch dazu später mehr - und nicht zuletzt verschiedene Internetforen zur Thematik, allen voran Anisearch, immer mal wieder neugierig "cyberstalke" (gelobt sei die Prokrastination). Gerade in Letzterem bin ich auch offiziell angemeldet, habe sogar vor X Jahren einmal ein paar Filme in die Datenbank eingetragen - kaum der Rede wert - und mein Profil in gelangweilter Stunde zu kleinen Uhrzeiten ausgefüllt, mich aber nie aktiv zu Wort gemeldet. Nun ja, wie wohl 95% aller in solchen Foren gemeldeten Mitglieder. Das allein wäre also wohl noch nichts Ungewöhnliches.

Wobei die Frage, wie diese 95% sich persönlich darstellen, von hohem Interesse für meine Ausgangsfrage wäre. Denn die verbleibenden 5%, die Menge der kommunizierenden, hochaktiven Mitglieder, hat bestenfalls teilweise Gemeinsamkeiten mit meiner Person.

 

Ich meine das ausdrücklich nicht negativ. Oder wenigstens größtenteils nicht - es gibt durchaus die eine (oder andere) Eigenschaft in der dort sichtbaren Gemeinschaft, die ich dem einen (oder der anderen) nicht ausschließlich positiv anrechnen kann. Aber das ist meine persönliche Meinung und zudem inhaltlich Bestandteil eines anderen Artikels - nämlich des nächsten aus dieser Reihe.

 

Was also macht die sichtbaren 5% aus (wobei diese Zahl natürlich symbolisch gemeint ist - bevor hier die allseits bekannten Online-Statistiker auf den Plan treten)? Nun, zunächst einmal sind viele Mitglieder sehr viel jünger als ich. Soll heißen: Im (späten) Teenageralter oder Anfang zwanzig. Ich habe keine Statistik parat (womöglich wird im Laufe der Umfrage-Threads auf Anisearch ja demnächst eine solche erstellt), und natürlich können Altersangaben gefälscht werden - wofür auch immer, "gesperrten" Content gibt es im Regelfall nicht. Selbst Hentai sind, zumindest auf Anisearch, frei verfügbar - was dort (speziell mangels Bilder) okay ist, meiner Meinung nach. Einzig ein manuell eingerichteter Filter würde das aushebeln. Ganz ähnlich sieht es bei Facebook (recht offensichtlich...) meist aus.

 

Der größte Unterschied wäre damit benannt, wobei nicht unterschlagen werden sollte, dass damit in meinem Fall zugleich der Graben zwischen Generation Y und Generation Z eröffnet ist. Aufgrund der Größe dieses Fasses und des potentiell esoterischen Anklangs - aber Letzteres wirklich nur am Rande! - spare ich das hier mal aus...

Von jetzt an wird es etwas weniger eindeutig. Versuchen wir es doch einmal mit einer Liste, das war bislang selten falsch:

  1. Der typische "kommunizierende" Otaku ist jünger (wurde erwähnt).
  2. Das Hobby Anime/Manga (meist hauptsächlich eines) ist noch wichtiger für ihn.
  3. Es besteht eine starke Tendenz, möglichst viel in kurzer Zeit zu konsumieren.
  4. In Teilen der Community (meist männlichen) starke Tendenzen zu Fanservice

Zum 3. und 4. Punkt wird es je einen eigenen Artikel geben - in vertauschter Reihenfolge, versteht sich ;) .

Schauen wir uns mal Punkt 2 an: Im Grunde ist die Formulierung ja bereits relativ eindeutig (hoffe ich zumindest), dennoch benötigt das ein paar Präzisionen. Die vielleicht wichtigste ist, dass der dritte Punkt unmittelbar daraus folgt - man will mehr in kurzer Zeit konsumieren. Oder anders formuliert: "Typische" Otakus sind bereit, ein sehr hohes Maß an Freizeit in ihr Hobby zu investieren, so zumindest die Hypothese. Das ist im Grunde eine triviale Aussage: Wer sein Hobby liebt, verbringt eben soviel Zeit damit wie möglich. Gamer verbringen Zeit mit Zocken, Bücherwürmer mit Lesen, Schachspieler mit Schachspielen, etc.. Relevant wird der Punkt insofern, als die Gesellschaft - und irgendwie ja auch jeder für sich persönlich (zumindest habe ich es noch nicht anders erlebt) - zwischen "konstruktiven" und weniger konstruktiven Tätigkeiten unterscheidet. Nun bedeutet das Aufwenden einer großen Menge von Zeit für Anime Schrägstrich Manga ja letzten Endes nichts anderes, als viel Zeit vor einem japanischen Comicheft oder gar einem Bildschirm zu verbringen. Zusätzlich werden die konsumierten Inhalte zwangsläufig sehr bald minderqualitativer, da der Anteil an sprichwörtlichen Meisterwerken zwar in absoluten Zahlen beachtlich, aber eben doch endlich ist. Ich selbst wäre wohl dennoch der letzte, der derartiges als Zeitverschwendung per se brandmarken würde - dafür tue ich es selbst viel zu gerne - aber zumindest irgendjemand könnte die Frage stellen, ob es nicht Besseres zu tun gäbe.

Von der japanischen Popkultur abzuweichen, wäre dabei gar nicht mal zwangsläufig notwendig: Engagierte Cosplayer oder Mangazeichner haben unter Garantie zwar einiges, aber in Summe sehr viel weniger gesehen als die meisten der auf Anisearch, Facebook etc. kommunizierenden symbolischen 5%. Oder denken wir an die Macher von Browsergames...

 

Wie gesagt: Weder möchte ich eine hohe Menge an "Otaku-Konsum" schlechtreden noch jemandem ein schlechtes Gewissen einflößen. Wer möchte, der soll. Und wer angesichts dieser Worte ein mulmiges Gefühl in der Brust bekommt, der oder die wusste ohnehin unterbewusst schon länger, dass es Zeit für einen persönlichen Kurswechsel ist. Dennoch sehe ich mich hier in der Pflicht, den Raum möglicher Fragen soweit wie möglich abzugrasen.

 

Kommen wir mal zu Punkt 3, auch wenn das schon angesprochen wurde: Möglichst viel zu konsumieren - die Zeitspanne spielt dabei gar nichtmal so eine große Rolle - ist wiederum etwas, was man aus einer gewissen Perspektive in Frage stellen kann. Diese Perspektive ist keinesfalls auf Anime beschränkt: Über Filme, Romane, Games... also: Jede Art von Konsumartikel - könnte man das selbe sagen. Problemlos. Die beiden Standardargumente sind auch gleichermaßen bekannt und berechtigt:

  • Pro: Man eignet sich ein sehr hohes Maß an Wissen über den Gegenstand (hier also Anime/Manga oder gar beides) an und kann gute und schlechte Werke eindeutig benennen, ebenso wie die Argumente für oder gegen diese. Oft geht damit im Laufe der Zeit nahezu automatisch ein erhöhtes Interesse an den Personen im Produktionsstab sowie den Querverbindungen verschiedener Werke und der Historie des Mediums einher. Kurz: Man wird zum Experten. Berufsmäßige Filmkritiker sind das Idealbeispiel, weitestgehend unabhängig von der Qualität ihrer Kritiken. 

 

  • Contra: Man verbringt absurd viel Zeit vor dem Bildschirm, vielleicht noch vor einer Buchseite - generell aber, und das zählt, mit einem überaus passiven Medium. Soziale Interaktionsfähigkeit und die Möglichkeit, Energie für eigene kreative Arbeit - sowie diese Kreativität selbst - leiden stückweise. Man wird träge und kann sich sogar außerhalb des eigenen passiven Hobbys kaum noch einem anderen dieser Art widmen: Wer viel zockt, kann nicht mehr Serien schauen, wer letzteres tut, kaum noch lesen, da es zu viel Energie kostet. Umgekehrt wird auch halbwegs ein Schuh draus. Kurz gesagt: Das Hirn erschlafft allmählich.

Wie gesagt, beide Argumente sind stimmig und final nicht vollends gegeneinander auszuspielen. Auch kommt es auf den individuellen Charakter an, wie sehr das jeweils eine oder andere zum Tragen kommt: Manch einer reflektiert und analysiert filmische Werke und informiert sich bis ins letzte Detail über deren Entstehungsgeschichte, sucht vielleicht aktiv die Diskussion über deren Form und Inhalt. In diesem Licht wären die genannten 5% der Otaku als äußerst positiv hervorzuheben - natürlich ach gegenüber mir selbst, der ich zwar hier privat meine Kritiken veröffentliche, aber nicht aktiv in einen geistigen Austausch eintrete (zumindest nicht derzeit).

Manch ein Anderer konsumiert vielleicht gänzlich unreflektiert die selben Inhalte und - Achtung, abgegriffenes Klischee - sitzt dabei Pizza verschlingend drei Tage schlaflos vor dem Bildschirm. Auch das Alter spielt hier womöglich eine Rolle, da man sich ja durchaus weiterentwickeln kann.

 

In diesem Zusammenhang sollte ich zugeben, bisher ein Detail unterschlagen zu haben: In dem kommunizierenden Anteil findet sich ein kleiner Schlag an Leuten, die sogar älter sind als ich. Eine - wenn auch symbolische - Prozentzahl mag ich hier nicht nennen; tatsächlich könnte man die betreffenden Namen für Namen auflisten, ohne viel Platz verschwenden zu müssen (was ich natürlich nicht tue). Da wären also einige Nullen voranzustellen. Nichts desto weniger ist es ein interessantes Phänomen, dass diese Herrschaften sowohl einiges gesehen zu haben scheinen - mehr als manch einer der Jüngeren - als regelmäßig auch eine ganze Reihe höchst langer und differenzierter Kritiken zum Thema publizieren. Anders gesagt: Auch die genannten 5% sind durchaus heterogen. Wer hätte es gedacht...

 

Und dann steht noch die Frage im Raum, wie sich die verbleibenden 95% neben meiner Wenigkeit darstellen. Da gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten: Entweder, sie ähneln im großen Stil den 5%, die dauerhaft sichtbar kommunizieren. Dann wäre ich tatsächlich ein eher untypischer Otaku. Oder aber, sie setzen sich in anderer Weise zusammen - welcher auch immer. Hier müsste man wild spekulieren. Privat kenne ich so einige Leute meines Alters, die deutlich mehr Anime gesehen haben, als sie öffentlich jemals zugeben würden. Meine zwischenzeitliche Theorie ist, dass es auch so etwas wie "Halbtags-Otakus" gibt, vielleicht auch 20%-Otakus. Ob davon dort einige registriert sind? Möglich. Wieviele genau? Unmöglich zu sagen. Auch sonst bleibt alles spekulativ. Außer einem: Ich selbst würde mich dann hauptsächlich in Abgrenzug zum kommunzierenden Teil sehen müssen. Bei dem übrigens ein weiteres Merkmal auffällt, dass ich bewusst aus der Liste herausgehalten habe, da es keinen Unterschied zu mir darstellt: Es handelt sich überwiegend um Männer, zumindest auf Anisearch. Auf Facebook, so mein unprofessioneller Eindruck, ist das Geschlechterverhältnis etwas gleichverteilter, wenn auch nach wie vor männerlastig. Das ist insoweit bemerkenswert, als es aus verschiedenen (wenn auch nicht zwangsläufig wissenschaftlich belegten) Quellen immer wieder mal heißt, die deutsche Otaku-szene bestehe hauptsächlich aus Frauen.

 

Der starke Männeranteil in den Foren erklärt natürlich - teilweise! - die unschöne Tendenz in Richtung Fanservice, welche zugleich, zumindest rückwirkend, eine gewisse Erklärung für die weitestgehende Abwesenheit des weiblichen Parts liefern würde. Zumindest was das betrifft, kann ich dann in Sachen Otaku-Typologie wohl mithalten - aus guten Gründen, bin ich doch aufgrund eben dieser Tendenzen auch aus Facebook-Gruppen wieder ausgetreten. Anders sieht es mit der mutmaßlichen Weiblichkeit der Szene aus, die ich dann doch höher bewerten möchte. Nehmen wir mal an, die Otaku-Szene besteht in Wahrheit hauptsächlich aus genau jenen fünfzehn- bis dreiundzwanzigjährigen Personen weiblichen Geschlechts, die man bisweilen noch in vereinsamten Foren und kleinen Facebook-Gruppen antrifft. Dann wäre ich wohl wirklich untypisch.

Bildquelle:

"No Game no Life" auf Anisearch.com.

Link: http://www.anisearch.de/anime/8878,no-game-no-life