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Jormungand

Ich bin immer wieder erstaunt, welch heiße Eisen die Japaner sich in ihren Serien doch anzufassen trauen. Gefühlt kommt da, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht einmal Hollywood mit - naja, oder wenigstens erst seit ein paar Jahren. Waffenhandel ist beileibe kein lustiges Thema. Wirklich darüber nachdenken will niemand, und mit den Menschen dieses Metiers zu tun haben wohl erst recht keiner. Eine ganze Serie also, zwei Staffeln lang, nur aus Sicht von Waffenhändlern? Das kann an den Bildschirm fesseln, so sehr, dass man - es sei vorweg gesagt - vieles gut und gerne dreimal sehen mag? Es kann! Lernen wir Koko Hekmatyar kennen, und mit ihr den Cast von Jormungand.

Dabei kommt die Serie in der ersten Episode vergleichsweise unscheinbar daher: Vollgepumpt mit Action und Comedyeinlagen, wirkt sie wie der gewohnt kalkulierte Versuch, den Zuschauer bereits von Minute eins an mittels leichter Unterhaltung auf ihre Seite zu ziehen - und vermutlich ist das gar nicht mal so falsch. Wenn hier etwas ins Auge sticht, dann wohl der Protagonist, aus dessen Sicht die Handlung erzählt wird: Der Kindersoldat Jonathan Mar, kurz Jonah genannt, wurde an die Waffenhändlerin Hekmatyar verkauft und steht somit fortan in deren Diensten. Am Anfang der Folge - wie auch diversen Weiteren - ist seine Stimme aus dem Off zu hören. Eine mutige Entscheidung bezüglich der Perspektive, die ich so zum ersten Mal in einer Serie zu Gesicht bekam.

Jonahs neue Aufgabe besteht darin, Koko als einer von damit neun Leibwächtern zur Seite zu stehen, während sie die Geschäfte des väterlichen Konzerns HCLI in Europa und Afrika abwickelt. Dabei ist das so entstandene Team weit mehr als eine Truppe professioneller Beschützer, sondern entpuppt sich schnell als Gruppe von Kameraden, denen auch in einzelnen Episoden ein gutes Stück Hintergrundgeschichte spendiert wird. Zwei Staffeln Länge sei Dank, bietet sich dafür etwas mehr Zeit - eine hätte keinesfalls gereicht (mehr dazu unten). Jonah selbst wird Stück für Stück ins Team integriert, zeigt sich aufgrund seiner traumatischen Erfahrungen, seines jungen Alters und schlussendlich auch seiner Persönlichkeit jedoch zurückhaltend. Nur eine verhaltende Neugierde blitzt hervor, welche den auf den ersten Blick abgebrühten sonstigen Teammitgliedern komplett abgehanden gekommen scheint. Alles in allem: Saubere Charakterzeichnung und spannend zu beobachten. 

Das gilt nicht minder für die Waffenhändlerin höchstselbst, Koko Hekmatyar. Und damit vielleicht für einen der besten weiblichen Charaktere, die ich je bewundern durfte. Damit hatte - und hat - der Film und das Fernsehen ja anerkanntermaßen bis heute ein Problem: Starke Frauencharaktere zu präsentieren, die gleichzeitig als eben auch solche erkennbar bleiben: Nämlich Frauen. Und nicht Männer im falschen Körper. Bei Koko ist das vermeintliche Kunststück jedoch vollends gelungen, und das ist wohltuend! Sie führt ein strenges Regiment, zeigt jedoch zugleich das rechte Maß an Gefühlsschwankungen, ohne dass ihr dies zum Nachteil gereichen würde. Ihre Wutausbrüche sind legendär, doch - wenigstens für den Zuschauer - lustig anzusehen, ihr Führungsstil als solcher rational und genauestens durchdacht. Ein interessantes Verhältnis pflegt sie zu Jonah, den sie einerseits als Soldaten sieht und behandelt, andererseits jedoch auch nach Kräften erzieht und weiterbildet, soweit die Lage es erlaubt. Mitunter glaubt man, eine spitzbübische Art von Mutterinstinkt bei ihr aufblitzen zu sehen - dessen sie sich zweifelsohne bewusst ist. Im Japanischen trägt Koko den Beinamen Kitsune, die Füchsin. Das passt wirklich perfekt zu ihr - schade, dass es nicht übertragen wurde.

Zu den wenigen, die Kokos wahres Gesicht kennen dürften, gehört ihr Bruder Kasper Hekmatyar, welcher hier als letzter im Bunde erwähnt sei. Bei HCLI ist er für die USA und Asien zuständig und nimmt seinen Job überaus ernst. Viel mehr lässt sich, soweit es die Handlung betrifft, kaum zu ihm schreiben, denn dies würde nahezu zwangsläufig in Spoiler münden. Zugleich wäre es mehr als schade, Kasper nicht zu erwähnen, da er geradezu prototypisch für die Art Charakter steht, die Jormungand so interessant macht: Als gewissenloser Kapitalist ohne nennenswertes Empathievermögen zählt er nicht zu der Sorte Menschen, welche man für gewöhnlich zu seinem Freundeskreis zählen möchte. Seine selbstironische Art, der stets entspannte Plauderton, den Kasper selbst angesichts lebensbedrohender Umstände noch aufrecht zu erhalten vermag - schlicht, weil er nicht gespielt ist - und die spürbare Leidenschaft, mit welcher er sein blutiges Geschäft verfolgt, lassen ihn andererseits gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen Hassfigur und Objekt der Faszination balancieren. Persönlich ist mir Kasper zuwider, doch ohne ihn wäre Jormungand nicht die Serie, die sie nun einmal ist. Und zu deren - inzwischen freilich nicht ganz neuer - Botschaft es gehört, dass auch Menschen mit höchst fragwürdiger Moral oft humorvolle und kumpelhafte Züge an sich haben.

Jormungands Handlung beginnt episodisch und beschreibt zunächst eine Reihe verschiedener Aufträge oder Problemfälle, mit denen es Koko und ihr Team zu tun bekommen. Das gestaltet sich abwechslungsreich: Die Serie führt uns um den halben Globus. Urwald, eisige Berge sowie auch Wüsten oder fremde Großstädte bilden die Kulisse für aufwendig inszenierte Actionsequenzen einerseits und lange, gut erzählte Charakterszenen andererseits. Einzig kurze, mitunter unpassend wirkende Slapstik-Momente trüben das Vergnügen ein wenig; ein altbekanntes Anime-Problem. Glücklicherweise hält sich dieser Faktor hier stark in Grenzen, und darüberhinaus verfügt die Serie über eine weitere, erwachsenere Ebene von Humor, die von den Charakteren ausgeht. Hier entsteht viel Unterhaltungswert, denn die Balance zwischen Komik und Ernst ist nahezu überall gelungen.

Ab der zweiten Staffel beginnt ein fortdauernder Handlungsstrang, womit sich der umfangreiche Charakteraufbau aus Staffel eins doppelt rentiert. Fairerweise muss an dieser Stelle jedoch erwähnt werden, dass volle neun Leibwächter - auch wenn diese Zahl sachlich realistsich wirken mag - die Serie selbst im Angesicht zweier Staffeln klar überfordern. Zwar kennt man am Ende alle Namen und ungefähren Hintergründe; einige haben auch weitergehende Screentime spendiert bekommen; doch letztlich wäre weniger hier mehr gewesen. Doch sei's drum, aus meiner Sicht Gemecker auf hohem Niveau. Zumal Jormungand in Summe von der Vielzahl an Charakteren und darauf aufbauenden Handlungssträngen speziell in der zweiten Staffel dann eben doch wieder profitiert, auch wenn nicht jedes Detail bis in die volle Tiefe entwickelt werden kann. Dafür aber zeichnet die Serie ein wunderbar vielfältiges und stimmiges Bild unserer Welt bezogen auf den Waffenhandel und der darin verwickelten Akteure, weit hinaus über die Hand voll Menschen, welche diese Waffen verkaufen. Auch Politiker, Ermittler, Untergrundorganisationen und internationale Verflechtungen finden in Jormungand ihren rechtmäßigen Platz. Und nein, ganz ohne Attitüden im Stile eines James Bond und ähnlicher Genrevorbilder kommt natürlich auch diese Serie nicht aus. Vielleicht sollte sie das aber auch gar nicht, ganz gleich, wie das Thema lautet. Am Ende des Tages schließlich bleibt es Unterhaltung.  

Fazit

Jormungand ist nichts für Kinder. Aber das gilt für so manchen Anime, und Jormungand ist andererseits auch nicht der neue Hellsing. In Zeiten von Breaking Bad und Game of Thrones lässt sich daher eine recht umfangreiche Empfehlung aussprechen, und dafür muss man nicht einmal an der Thematik Waffenhandel interessiert sein. Jormungand lebt, wie wohl alle Serien mit starken Antihelden, maßgeblich von den zahlreichen und in der Ausgestaltung höchst vielfältigen Charakteren. Dazu kommen eine gut getroffene Mischung aus trockenem Humor und der dem Thema angemessenen Ernstahftigkeit sowie - wenigstens ab Staffel zwei - ein spannend konstruierter, wenngleich mitunter leicht unglaubwürdig erscheinender Handlungsbogen. Summa summarum ist Jormungand damit sicher keine Serie, die in die heilige Gallerie der wichtigsten Anime-Titel aller Zeiten eingehen wird. Doch all jenen, die eben diese Titel bereits restlos kennen oder eine Pause davon brauchen, ohne sich gleich in die tiefsten Niederungen in Sachen Qualität zu begeben, lässt sich Jormungand bedenkenlos ans Herz legen. 

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