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Angel Beats!

Wer sich selbst Vollzeit-Otaku schimpft, und das am Besten bereits seit Jahren, der oder die hat bereits jedes nur denkbare und undenkbare Setting jedweder Absurdität zu Gesicht bekommen. Meint man. Und dann kommt Angel Beats!. Oder auch irgendwie doch nicht. Schule? Check. Lehrer sind dennoch dauerabsent? Check. Und ein Schülerrat mit einer Präsidentin, deren Status dem einer Göttin geradezu den Rang abläuft? Verdammt, Check! Was also stimmt hier nicht? Dass alle Protagonisten tot sind, und das von Minute eins an. Man lernt halt nie aus...

Wer mit dem Wissen um diese Prämisse in die Ansicht einer Serie einsteigt, kann für gewöhnlich nur eins von zwei möglichen Extremen erwarten: Das wird entweder richtig gut, oder einfach nur grottig. Spannenderweise ist hier nichts von Beidem so wirklich der Fall, Angel Beats! pendelt sich brav in der Mitte ein. Das liegt vor Allem daran, dass die Serie zu keinem Zeitpunkt mehr sein möchte, als sie tatsächlich ist: Lockere Unterhaltung für zwischendurch, ohne einen philosophischen Tiefgang, welcher hier zwangsläufig aufgesetzt gewirkt hätte. Versuchen können hätte man es natürlich. Glücklicherweise gibt sich die Serie pragmatischer.

Der siebzehnjährige Yuzuru Otonashi erwacht eines Tages in einer ihm fremden Umgebung, in welcher ihm von einem ihm ebenso unbekannten Mädchen eröffnet wird, dass es sich um das Totenreich handelt. Somit legt gleich die erste Szene der Serie das Setting eindeutig fest: "Die Protagonisten sind tot, und das Jenseits sieht aus wie eine Schule (was wenig überraschend wirkt, aber das nur am Rande). Punkt. Das ist zweifelsohne besser, als sich in langen und verschachtelten Ratespielen der Marke Lost zu verstricken, denen die Serie mit absoluter Gewissheit nicht standgehalten hätte. Überhaupt, welche tut das schon? Mit Ausnahme von The Sixth Sense fällt zumindest mir spontan nicht ein Werk der Filmgeschichte ein, welches das Thema Tod mit einem echten Überraschungseffekt versehen hätte, ohne billig zu wirken. Doch die Versuchung, genau dies zu wiederholen, wäre bei Angel Beats! zweifellos groß gewesen. Zum Glück geschah das exakte Gegenteil.

Schließt sich natürlich die rein rhetorische Frage an, ob das verwendete Szenario als originell im engeren Sinne des Wortes gelten darf. Wohl kaum, und manch einem könnte dies vielleicht nicht sauer aufstoßen, doch wenigstens einen müden Seufzer entlocken. Schule, ernsthaft? Schon wieder? Etwas mehr Fantasie hätte man den Autoren durchaus zugetraut. Doch, wie so oft im Leben, bietet sich wohl auch hier der humorvolle Blick noch am Meisten an: Und dann wirkt das Ganze mit einem Mal nahezu selbstironisch, wenngleich zweifellos unbeabsichtigt. Sei's drum. Angel Beats! ist kein Anspruchswerk, ich erwähnte es bereits.

 

Unterschätzen sollte man die Serie deswegen dennoch nicht: Wer emotionale Szenen, welche auch vor expliziter Gewalt teils nicht zurückschrecken, gar nicht ertragen kann, ist hier schlecht beraten. Solche nämlich bietet der Plot in den Rückblicken auf, welche zu ausgewählten Charakteren und deren Leben im Laufe der Folgen gezeigt werden, auch wenn der Grat zwischen dramatisch und kitschig hier manchmal arg schmal geraten ist. Doch auch hier: Sei's drum.

 

Die eigentliche Handlung folgt, wenigstens grob, zwei parallelen Linien: Einmal dem Schicksal der jeweils einzelnen Charaktere, welches in Form kurzer Handlungsbögen und unter zu Hilfenahme von Flashbacks erzählt wird. Zum zweiten natürlich dem übergeordneten Thema, an welchem ein Setting wie dieses - der eingangs erwähnten Offensichtlichkeit zum Trotze - dann doch nicht völlig vorbeikommt: Nämlich der Erkundung der geheimnisvollen Welt nach dem Tod. Welchen Regeln genau folgt sie? Wer landet hier und warum? Und ist dies wirklich die letzte aller Welten? 

All dies wird dem Zuschauer aus der Sicht Otonashis präsentiert, was zusätzlich dadurch an Reiz gewinnt, dass Letzterer ohne Erinnerung an seine Vergangenheit in dieser Welt erwacht - als Einziger, wie er bald feststellen soll. An genau dieser Stelle merkt man jedoch auch, dass Angel Beats! schlussendlich auf einer Visual Novel basiert. Der Autor zeichnete u.a. auch bereits für Clannad und Clannad After Story verantwortlich, und ebenso wie dort Sind Protagonist und Struktur der Handlung klare Hinweise auf die Art der Vorlage. Denn dergestalt, wie ein Handlungsbogen an den nächsten anschließt und von Otonashi mit gesunder Neugierde durchlebt wird, fühlt sich der Zuschauer geradezu unmittelbar in die Rolle des Spielers versetzt, welcher Level um Level, Quest um Quest für sich entscheidet. Zusätzlich verstärkt wird dieser Eindruck hier dadurch, dass auch die Totenwelt selbst - wie sich im Laufe der Serie zeigt - über die Charakteristika eines Computerspiels verfügt, was von den Vharakteren teils auch direkt so benannt wird. So lassen sich etwa Materie und ganze Gegenstände mittels Software generieren, und auch die zu Beginn gezeigte Hauptgegnerin der Verstorbenen - der so genannte Engel - kann ihre Fähigkeiten auf diesem Wege anpassen. Wirklich klar freilich wird einem die dahinterstehende Mythologie niemals und erinnert rückblickend ein wenig an den missglückten Versuch aus The Irregular at Magic High School, Magie einen technischen Touch zu verleihen. Allerdings stört das hier erheblich weniger, weil der dramaturgische Raum, den das Konzept für sich beansprucht, um Vieles geringer ist.

Überhaupt verzeiht man der Serie gerne eine ganze Reihe formaler Schwächen: Ja, die Struktur ist vorhersehbar, die Charaktere weitestgehend flach, mancher Gag ist arg albern und die dramatischen Szenen dafür mitunter umso kitschiger. Doch, weil drei so schöne Zahl ist und es in diesem Fall schlichtweg zutrifft: Sei's drum. Angel Beats! macht Spaß! Zumindest dann, wenn man sich ganz und gar auf den Augenblick einlässt und die Logik nicht zu sehr unters Mikroskop legt. Fraglich, ob sie dem gewachsen ist. Im Kleinen jedoch bietet Angel Beats! eine Bandbreite an Emotionen, die gute Unterhaltung geradezu garantiert: Sei es nun der ausgeklügelte Plan der Schülerratspräsidentin, den Engel (welche natürlich ebenfalls zur Schule geht) während einer Schulstunde (welche natürlich, automatisierter Lehrer sei Dank, auch stattfindet) per fingierter Klausur zu schlagen, ein dramatischer Kampf mit einem Neuankömmling oder auch die alles entscheidende Stunde, in der Otonashi endlich seine Erinnerung wiedererlangt. Ach ja, und eine Baseballfolge gibt es natürlich auch. Höchste Zeit, mir endlich mal die Regeln anzusehen... 

Fazit

Nein, Angel Beats! ist keine Unterhaltung auf höchstem Niveau, aber auch nicht das Gegenteil davon. In diesem Sinne reiht sich die Serie wohl im Durchschnitt des Anime-Universums ein, und das meine ich im allerbesten Sinne dieses Wortes. Denn man sollte nie vergessen: Fünfzig Prozent aller Serien liegen unterhalb des Durchschnitts; es bis dorthin geschafft zu haben, ist somit eine Leistung! Doch auch weniger mathematisch betrachtet sticht Angel Beats! in gewisser Hinsicht heraus: Vor längerem hörte ich einmal jemanden sagen, es sei eine süße Serie. Eine bessere Beschreibung lässt sich wohl gar nicht finden, auch wenn sie zu einfach klingt, um wahr zu sein. Bei allen Fehlerhaftigkeiten merkt man dem Endprodukt das Herzblut an, das die Macher investiert haben, und darauf kommt es letzten Endes an. Wer also sollte hier zugreifen? Jeder und Jede, der oder die gerne gute Unterhaltung für den Augenblick genießt, ohne sich auf große Meisterwerke zu beschränken, kann bedenkenlos die Ansicht wagen. Einzige Voraussetzung ist, über Logiklöcher hinwegsehen zu können und ein gewisses Maß an Albernheiten und Kitsch zeitweise zu erdulden. Doch wer schon eine Weile im Anime-Sektor unterwegs ist, dürfte derartiges ohnehin gewohnt sein. Für Einsteiger ist die Serie ebenfalls einen Blick wert; allenfalls die mitunter schnellen Wechsel in der Stimmung - etwa zwischen harten, brutalen Flashbacks und ausgelassener Comedy - könnten im ersten Moment für Irritationen sorgen. In diesem Sinne ist Angel Beats! kein Kaviar, aber auch kein Cheeseburger. Eher schon ein selbstgerührter Pudding oder liebevoll gebackener Apfelkuchen. UNd was kann man da schon falsch machen? 

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