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The Irregular at Magic High School (A)

Wie schafft man es eigentlich, so ziemlich alles falsch zu machen, was sich falsch machen lässt, dabei gleich noch mehrere Rekorde in puncto Fehlerhaftigkeit aufzustellen und Trotz Allem - ich muss es, wohl oder Übel, zugestehen - gar nicht mal so wenig unterhaltsam zu sein? The Irregular at Magic High School ist ein dramaturgisches Lehrstück der ganz anderen Art, das speziell für all jene einen Blick wert sein dürfte, die glauben, bereits sämtliche Regeln der hohen Kunst des Storytelling voll und ganz verstanden zu haben. Aber seid gewarnt: Ein Spaziergang wird das nicht. Und ob der Anime euch am Ende gar gefallen haben wird, das weiß wohl nur Tatsuya Shiba.

Magie der Kategorie Tatsuya

Der weiß ohnehin so einiges. Tatsuya Shiba, der Hauptprotagonist, ist, wie ich nicht als Erster und ganz gewiss auch nicht als Letzter feststelle, das große Problem dieser Serie und zugleich der Grund, warum sie mit Fug und Recht einen Rekord für sich beanspruchen darf: Nämlich den auf den wohl reinhaltigsten Mary-Sue-Charakter, de je geschaffen wurde - und Shiba noch zu toppen, dürfte auch, sagen wir, ambitioniert sein. Wahrscheinlich könnte das nur Shiba selbst. Ja, ganz Recht, Chuck-Norris-Witze funktionieren auch bei Tasuya Shiba.

 

Doch immer schön langsam. Worum geht es hier eigentlich? Vermutlich ist das Setting einer der Gründe, warum Irregular at Magic High School trotz erkennbarer Schwächen recht gut unterhält (und über diese Gründe habe ich lange nachgedacht): Der Anime spielt in einem Japan des Jahres 2095, in dem - wie uns bereits zu Beginn der ersten Folge klargemacht wird - nach einem verheerenden dritten Weltkrieg in den 2060ern nun sogenannte "Technomagier" über großen gesellschaftlichen Einfluss verfügen. Magie wurde als reales technisches Konzept etabliert - was genau das heißen soll, versteht der geneigte Zuschauer jedoch bis zum bitteren Ende nicht wirklich, obwohl er es diverse Male im praktischen Einsatz zu Gesicht bekommt. Eine bedeutende Schwäche der Serie besteht somit darin, ihre Mythologie nur unzureichend zu erklären, doch mehr dazu später. Widmen wir uns lieber Shiba.

 

Der ist natürlich selbst Technomagier, hat bereits an einer handfesten Schlacht  teilgenommen - noch immer müssen Magier dafür sorgen, dass die Gesellschaft nicht wieder vollends aus dem Gleichgewicht gerät - und besucht nun, gemeinsam mit seiner kleinen ("jüngere" trifft es irgendwie nicht...) Schwester Miyuki die erste staatliche Magie-Oberschule Japans. Willkommen im guten, alten Romance-Comedy-Harem - könnte man denken. Tatsächlich jedoch entfaltet sich recht schnell eine durchaus verlockende Mischung aus Politthriller und Fantasy-Action, welche das in diesem Kontext hochgradig albern wirkende Setting zumindest für abgehärtete Anime-Liebhaber durchaus mal in Vergessenheit geraten lassen kann. Anime spielen halt in Schulen, Punkt. Bei Gedanken wie diesen erwischte ich mich durchaus hin und wieder, mit der sofort darauf folgenden Metareflexion, dass man doch so einiges zu Verzeihen bereit ist, wenn es nur ordentlich zur Sache geht am Bildschirm. Allerdings muss man wohl ein paar weitere Schoten dieser Art bereits gesehen haben und sollte dementsprechend kein Neueinsteiger sein, um hier nicht mental aus der Spur zu geraten. Meine These, Anime erfordere keine spezifierte Sichtweise der Dinge, musste ich Dank dieser Serie zumindest mal überdenken.

 

Der Rest ist nun einigermaßen vorstellbar: Natürlich gibt es einen Schülerrat, natürlich hauptsächlich weiblich besetzt. Und natürlich wird Tasuya, ebenso wie seine Schwester, Teil dieses Rates (oder, genauer, des Disziplinarausschusses) und erhält damit einen Handlungspielraum, von dem selbst die meisten Schulrektoren nur träumen dürften. Sei's drum, so weit, so gewohnt. Und auch nicht das Problem. Das liegt, wie bereits angemerkt, in Tasuyas geradezu absurd übermenschlichen Fähigkeiten begründet: Von der ersten Minute an lässt die Serie keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass es keine Form der Magie gibt, die Shiba nicht beherrscht. Konkret äußert sich das in dem für Mary-Sue-Charaktere durchaus typischen Umstand, dass eben er es ist, welcher mit schöner Regelmäßigkeit als Retter des Tages auftritt. Kein Hindernis ist zu groß, kein Gegner zu böse, keine Herausforderung zu schwer, als das Tasuya Shiba auch nur eine Schweißperle vergießen müsste, um ihr mit Leichtigkeit und im Handumdrehen beizukommen. Wer die Serie auf die Anzahl der Niederlagen abklopft, die Tatsuya Shiba im Laufe seines Daseins als Hauptprotagonist zu erleiden hat, der findet - nichts. Im Ernst: Shiba muss nicht ein einziges Mal zurückstecken. Bedenkt man, dass es der traditionellen Lehre nach die Schwächen sind, welche einen Protagonisten überhaupt erst sympathisch machen, so ist dies schon ein starkes Stück. Und entweder außerordentlich mutig oder außerordentlich dumm seitens der Macher - ganz nach Blickrichtung.

 

Diese Übermacht Shibas paart sich, wenig überraschend vielleicht, mit einer geradezu penetranten Bescheidenheit seinerseits auf der einen und fortwährend neidloser Bewunderung seiner Mitschülerinnen auf der anderen Seite. Insbesondere seine Schwester ist hier hervorzuheben, welche sich regelmäßig in peinlichen Lobeshymnen auf ihren großen Bruder ergibt, die ein Maß an Femdscham beim Zuschauer auslösen, das ich so schon lange nicht mehr habe erleben müssen. Überhaupt ist sie wenig sympathisch - in gewisser Weise noch weniger als Tatsuya Shiba selbst, da sie seinen Charakter wie eine Lupe vergrößert (und scheinbar viel Spaß dabei empfindet). Darüber hinaus scheint sie keinen vertieften Zweck in der Handlung zu erfüllen. Diese Diagnose kann man jedoch vielen Charakteren stellen. Wird Tatsuya entfernt, bleibt sehr wenig übrig - ja, das ist bei Streichung des Hauptprotagonisten zu erwarten, nimmt hier jedoch extreme Züge an. Auch Charakterentwicklung sucht man bei allen Figuren nahezu vergeblich, da Hindernisse, deren Überwindung Voraussetzung für Entwicklung ist, stets umgehend durch Shiba beseitigt werden.

 

[...]

 

Tatsuya

[zeigt keinerlei Emotion]

Nun, mein werter Kritiker, das ist so nicht ganz zutreffend. Mit einer einfachen Magie der Kategorie Überdruck wäre etwas Derartiges nämlich durchaus zu bewerkstelligen.

 

Saegusa

[wiegt nachdenklich den Kopf]

Eine Magie der Kategorie Überdruck? Aber beherrscht nicht nur eine kleine Gruppe von Magiern diese spezielle Technik?

 

Mari

[zuckt mit den Schultern]

Tja, so ist unser Tatsuya eben! Löst selbst die notdürftigsten Probleme ganz unerwartet!

 

Miyuki

[wirft sich an Tatsuyas Seite und umklammert seinen Arm]

Das ist eben mein Bruder!

It's Magic!

Ein weiteres Problem stellt, wie bereits angedeutet, dass undurchdachte Magiesystem der Serie dar. Dies ist zugleich in besonderer Weise schade: Setting und Grundidee bilden nämlich eigentlich eine echte Stärke von The Irregular at Magic Highschool. Man spürt, dass hier viel Potential verschenkt wurde. Die Idee, Magie als reale Technologie der Zukunft darzustellen, ist verhältnismäßig frisch und wenig abgegriffen - und somit eine echte Rarität in Zeiten wie den unseren, in denen 99% aller Storys dem Zuschauer nur noch ein müdes Gähnen entlocken, liest er sie in der Zusammenfassung. Eine gelungene Umsetzung hätte hier Wunder gewirkt. So jedoch scheint es, dass man das Magiesystem während der Serienlaufzeit nicht akzeptabel zu erklären imstande war, oder - und  das ist wesentlich wahrscheinlicher - es eigentlich kein echtes System gibt, weil sich über die entsprechenden Hintergründe nie Gedanken gemacht wurde. Stattdessen wirkt es, als habe der Autor stets die für die aktuelle Handlung naheliegendste Lösung aus der Trickkiste gegriffen - eine gefährliche Technik, die aber funktionieren kann, drückt man als Zuschauer zwei Augen zu. Weniger reicht nicht aus, denn unsere Neugierde wird permanent gefüttert, doch nie zufrieden gestellt: So sehen wir, dass sich die neue Form der Magie wohl mittels Computercode beeinflussen lässt. Gegenstände und Kraftfelder materialisieren sich auf Knopfdruck; ganze Gesetze der Physik sind scheinbar einfach so umprogrammierbar. In welcher Weise das vor sich gehen soll, wo die Potentiale und wo die Grenzen dieser Technik verlaufen - all das jedoch wird uns nie klar zu Gehör gebracht, obwohl die Protagonisten, allen voran Shiba, einen Großteil der Screentime mit Technobabble verbringen, der uns nach mehr lechzen lässt. Selbst erläuternde Animationen werden eingespielt - doch es fehlt der rote Faden zwischen den Erklärungen. Anders als etwa bei Full Metal Alchemist, wo das direkt zu Beginn erwähnte "Prinzip des äquivalenten Tauschs" jeden magischen Vorgang der restlichen Serie unmittelbar verständlich machte. Instinktiv sucht der Zuschauer auch hier nach Prinzipien dieser Art, bleibt jedoch leider erfolglos. 

 

Also ist The Irregular at Magic Highschool ein Totalreinfall? Jein. Das wohl interessanteste an der Serie überhaupt dürfte sein, dass ihr Unterhaltungswert - allen genannten Schwächen zum Trotz - unerwartet hoch ist. Ich selbst habe die Ansicht in vier Sitzungen geschafft. Das ist, nach Otaku-Maßstäben, eher viel, doch für mich persönlich - und speziell eine Serie dieser Art - ist es, zumindest mittlerweile, gar nicht mal so schlecht. Auch ich werde eben nicht jünger. Was die Gründe betrifft, so habe ich meine persönliche Theorie aufgestellt (die sicher Viele schon weit länger vertreten): Handwerkliche Qualität und Unterhaltungswert sind keine streng korrelierenden Größen. Oder, anders formuliert: Handwerkliche Qualität garantiert Unterhaltungswert. Aber Unterhaltungswert garantiert nicht zwangsläufig handwerkliche Qualität. Das eine ist nur eine Teilmenge des anderen, nicht mehr. Anders könnte wohl auch das moderne Fernsehen gar nicht mehr funktionieren. Und Serien wie DearS oder Kämpfer stünden auch nicht so hoch im Kurs...

 

Schlussendlich kommt es damit wohl nur auf wenige Minimalanforderungen an, und diese sind - allen genannten Schwächen zum Trotze - im Falle der Serie erfüllt. Ja, die Story ist unlogisch, die Mythologie undurchdacht, die Charaktere flach wie Papier, aber zumindest - nun, bleibt das alles so. Natürlich man könnte sich auch schrittweise verbessern, aber mal ehrlich, wo passiert das schon? Setzen wir lieber realistische Ziele. Und hat man als Zuschauer sein Erwartungsniveau erst einmal angepasst und die Prämisse eines gnadenlos overpowerten Tatsuya Shiba verinnerlicht - im Idealfall, da man zuvor eine Review wie diese gelesen hat und somit weiß, dass sich da nichts ändert - dann bietet The Irregular at Magic High School für einige Stunden durchaus ansprechende und sogar spannende Unterhaltung. Denn so vorhersehbar der Sieg in diesem Fall auch sein mag, das "wie" ist nicht zwangsläufig immer klar. In gewisser Weise wird das heiß gestrickte Magiesystem hier teils sogar zum Vorteil, da es immer wieder für spontane Einfälle sorgt, auf die man als Zuschauer so anhand des Vorhergehenden nicht gekommen wäre. Der Preis dafür liegt natürlich auch hier darin, den Wunsch, dieses System zu verstehen, komplett aufgeben zu müssen - was aber recht frühzeitig gelingen dürfte, sofern man der Serie denn eine Chance geben will. Denn bereits in den ersten Folgen stellt sich das Gefühl ein, dass hier ein gedankliches Fundament fehlt. So wie auch im Ganzen gilt: Hat man die erste Folge gesehen und verkraftet, so wird dies auch für den Rest gelten und im Idealfall sogar Spaß bereiten - Voraussetzung ist, dass man keine Niveausteigerung erwartet.

Fazit

Es ist schwer zu sagen, wem man The Irregular at Magic Highschool empfehlen soll, dafür umso einfacher, wann man es empfehlen soll. Dann nämlich, wenn leichte Kost gewünscht ist, der bei Anime dann nahezu unvermeidliche Einheitsbrei aus Ecchi, Harem (okay, gibt es hier natürlich auch...) und albern aussehenden Waffen einem aber inzwischen auf die Nerven geht. Dann kann die Serie eine gelungene Abwechslung darstellen, da sie zumindest den Anschein von Ernsthaftigkeit vermittelt. Wirkliche Bedrohungen ergeben sich, Tatsuya Shiba sei Dank, de facto niemals, was man auch als Regularium der Serie schnell zu akzeptieren lernt - oder lernen muss. Andererseits kann genau dieser Umstand sogar entspannend wirken, will man, zusätzlich zur Ecchi-Auszeit, auch keinen allzu großen nervlichen Anspannungen ausgesetzt sein. So betrachtet füllt The Irregular at Magic Highschool als vielleicht einzig existente Serie in dieser Hinsicht überhaupt eine Lücke, an die eher selten gedacht wird. Und das ist jetzt durchaus positiv gemeint!