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Japanophil, zum Zweiten: Sind Anime sexistisch?

Tja, irgendwann musste er wohl kommen. Und scheinbar eher früher als später, ist das Thema doch schließlich in einschlägigen Foren und an sonstigen Orten des Austauschs omnipräsent: Der Hang des Mediums Anime zu sexuellen Anspielungen aller Art, über die mal positiv, mal negativ, mal rein deskriptiv geschrieben und diskutiert wird. Wahrlich, ob Anime sexuelle Inhalte haben, darüber müssen wir uns hier wohl kaum unterhalten - wer das bezweifelt, hat in meinen Augen schlicht zu wenige gesehen. Schon eher interessant ist da die Frage der moralischen Bewertung, die - wie bei allen Fragestellungen dieser Art - natürlich nur subjektiv und, das kommt erschwerend hinzu, aufgrund der schieren Breite an vorhandenem Material ungenau ausfallen kann.

Die drei Wäsche-Tiere
Ecchi, Harem, nackte Haut und Pantyshots - nur ein Klischee oder die Wahrheit?

Setzen wir da mal an: Grundsätzlich sind sexuelle Inhalte kein prinzipielles Problem, und zwischen "sexuell" und "sexistisch" besteht auch ein Unterschied. Im Gegenteil: Sexuelle Inhalte können - so sie denn gut gemacht sind - eine Geschichte bereichern und die Konstellation zwischen einzelnen Charakteren um eine neue, interessante Dimension vergrößern. Dass dieser Versuch vermutlich öfter misslingt als erwünscht, steht außer Frage, aber grundsätzlich ist es so. Und der Anime hat dieses Mittel auch nicht für sich allein gepachtet: Romane, Filme aller Kulturen (in unterschiedlicher Ausprägung), ja selbst bestimmte Arten von Musik und Gemälde aller Kulturen und Epochen verwenden dieses Stilmittel, manchmal in geradezu aufdringlicher und streitbarer Art und Weise. Beispiele gefällig?

Man achte in diesem Zusammenhang unbedingt auf den Text, der das Stück ganz klar um Einiges von einem "gewöhnlichen Liebeslied" abhebt - ob zum Positiven, sei hier nicht das Thema.

Bildnis aus Pompeji
Historische Einordnung: Casa del Centenario, Pompeji, 1. Jh.

Auch der Inhalt dieses knapp 1900 Jahre alten römischen Bildes gestaltet sich relativ eindeutig. Sexualität ist Teil der menschlichen Natur und wird dementsprechend in der Kunst zum Ausdruck gebracht - schon immer. Wo also verläuft die Grenze zum Sexismus, und warum gerät das Medium Anime immer mal wieder in den Ruf, eben diesem verfallen zu sein?

 

Werfen wir zur Beantwortung dieser Frage einen Blick auf den heiligen Gral des Wissens aller einheimischen Blogger, die deutsche Wikipedia:

 

"Als Sexismus wird die auf das Geschlecht (lat. sexus) bezogene Diskriminierung bezeichnet. Unter dem Begriff werden Geschlechterstereotype, Affekte und Verhaltensweisen gefasst, die einen ungleichen sozialen Status von Frauen und Männern zur Folge haben oder darauf hinwirken."

 

Aha. Damit hätten wir die Bedingungen zur Definition von Sexismus beisammen - die sich, btw., ja ohnehin die meisten vermutlich längst selbst denken konnten. Im Wesentlichen handelt es sich bei Sexismus demnach um eine auf das Geschlecht bezogene Form der Diskriminierung, wobei interessanterweise auffällt, dass die Definition dies neutral hält. So können - im grunde wenig überraschend - prinzipiell natürlich auch Männer von Sexismus betroffen sein, nur ist dies wahlweise in der Praxis selten der Fall oder aber die entsprechenden Fäle werden einfach nicht hinreichend präsent gemacht. Dazu möchte ich hier nicht Stellung beziehen, es betrifft auch nicht direkt das Thema. Bestenfalls in Form einer notwendigen Konkretisierung: Der Vorwurf an den Anime lautet nämlich zumeist auf Diskriminierung des weiblichen Geschlechts - wie ja aber, womit sich die Konkretisierung ein Stück weit erübrigt, fast überall. Die Gründe seien, ich erwähnte es, dahingestellt.

 

Nun gut. Werden also Frauen in Anime gehäuft diskriminiert? Der akademische Teil meines Verstandes drängt übrigens selbst zu kleinen Uhrzeiten noch darauf, auch diesen Begriff nun weiter zu zerlegen, aber lassen wir das (ein Dank an die Müdigkeit!). Es führt uns aber, so denke ich, auch nicht weiter. Natürlich ließe sich die Breite an vorhandenen Darstellungen im Medium dadurch potentiell besser sortieren, jedoch ohne weitere Statistiken, wie oft welche Art von Szenen wo zu sehen sind und eine - gut begründete - Form der Unterscheidung dieser Darstellungen brächte auch das nichts. Wir wollen ja hier keine Dissertation schreiben (schätze ich zumindest), sondern "nur" frei das Thema reflektieren. Dessen erhebliches Diskussionspotential lässt sich durch mögliche Denkansätze wie diesen allerdings unschwer erahnen, ebenso wie die unschöne - damit verbundene - potentielle Tendenz, das Thema dann eben auch folgerichtig zu "zerdenken". Durch eine immer weitere Zersplitterung in Kleinstbegriffe, Einzelargumentationen und damit verbundene Fallbeispiele - ich sehe den Thread schaudernd vor mir - gerät die wesentliche Kernfrage aus dem Fokus: Können Frauen den Großteil der Anime ebenso genießen wie Männer es können, und das auch an den selben Stellen? 

 

Na, was gemerkt? Genau, das ist eine explizit praktische Frage, keine theoretische wie die nach dem Sexismus. Hier brauche ich nun wirklich keine Definition mehr nachzuschlagen - was "genießen" bedeutet, wissen wir alle ganz genau. Und selbst wenn unsere jeweiligen Vorstellungen da irgendwie voneinander abweichen sollten, was de facto auch ein wenig der Fall ist (jeder sieht Filme anders): Who cares? Das Ergebnis zählt. Das Vorhandensein eines praktischen Lebensgefühls. Was nicht zählt, ist das "Erfülltsein" theoretischer Kriterien für die o.g. Definition. Also, bleiben wir mal beim Praktischen.

 

Nun kann ich nicht für die weibliche Seite der Zuschauerschaft sprechen. Streng genommen ja nicht einmal wirklich für die männliche. Ich bin einer, nicht viele. Aber natürlich existieren Indizien: In der - nicht zwangsläufig repräsentativen (s. letzten Artikel) - Community etwa ist "Fanservice" in einzelnen Produktionen ein häufiges Thema, und das nicht selten mit einer positiven Konnotation - wenn auch nicht immer. Die Community als solche ist größtenteils männlich zusammengesetzt, soweit das Internet diese Information zuverlässig hergibt. Über die Zusammensetzung der Otaku-Szene als Ganzes sagt das freilich wenig aus - gelegentlich hört man, diese sei hierzulande eigentlich eher weiblich geprägt.